Heute schon meditiert? Nein, aber du wolltest schon längst damit beginnen, ein achtsameres Leben zu führen? Dann habe ich vielleicht eine gute Nachricht für dich, denn wenn du das hier liest, hast du sicherlich mit Pferden zu tun und das kann genauso zum achtsamen Leben beitragen, wie regelmäßiges meditieren. Wie du von und mit Pferden über Achtsamkeit lernen kannst, erzähle ich dir hier.
Pferde sind Meister der Achtsamkeit. Sie leben im JETZT, in diesem Augenblick. Daher
entgeht ihnen (fast) nichts. Ihre Augen sind so am Körper angeordnet, dass sie fast einen 360 Grad Rundumblick haben. Da kommen wir Menschen auch mit messerscharfer Aufmerksamkeit schwer heran. Pferde stecken schon alleine, weil ihnen die Worte fehlen, nicht in Gedankenschleifen fest. Stelle dir einmal vor, uns Menschen würde es gelingen, stundenlang nicht zu denken, zu grübeln oder uns die Geschichte von der verrückten Begegnung mit der Nachbarin letzte Woche zum hundertsten Mal selbst zu erzählen! Wow, wie beruhigend wäre das?!
Meine These ist, dass dein Pferd alle Voraussetzungen dafür hat, dein Achtsamkeits-Mentor zu werden. Aus dieser Perspektive kannst du von deinem Pferd lernen und gemeinsam ihm wachsen.
Was genau bedeutet Achtsamkeit? Bis ich mich intensiv mit Achtsamkeit auseinander gesetzt habe, dachte ich, dass es darum geht, zu meditieren und alles langsam zu machen. Es war für mich eine Qual - innerlich auf 100 - mich langsam und bewusst zu bewegen. Ich wurde immer fahriger. Trotzdem habe ich es oft probiert, weil ich dachte, das hilft mir dabei, ruhiger zu werden. Ich habe es aber nie lange durchgehalten. Mit dem Meditieren war es ähnlich. "Jetzt noch schnell meditieren" hörte ich mich irgendwann selbst zu mir sagen. Da fiel mir auf, dass das irgendwie nicht richtig sein kann.
Achtsamkeit ist die Bewusstheit, die entsteht, indem wir im gegenwärtigen Moment absichtlich und ohne zu urteilen aufmerksam sind.
(Jon Kabat-Zinn)
Also da steht erstmal weder etwas von Meditation, noch von Langsamkeit. Ich bin erleichtert. Ein Buch von Jon Kabat Zinn räumte vor ungefähr einem Jahr mit meinen Vorurteilen gegenüber Achtsamkeit auf.
Achtsamkeit bedeutet also viel mehr, im Hier und Jetzt zu sein und zwar ganz, das heißt mit Körper und Geist. Ein achtsamer Mensch ist präsent im Augenblick, ohne ihn zu bewerten. Wir Menschen neigen dazu, permanent zu bewerten und uns in diesen Gedanken der Bewertung dann auch noch zu verstricken. Achtsam zu sein ist also ein Geisteszustand, der vielen Menschen unseres Kulturkreises ziemlich fremd ist.
Für Pferde hingegen ist Achtsamkeit ein natürlicher Zustand. Vorausgesetzt natürlich, dass sie ein pferdgerechtes Dasein führen dürfen*. Ein Pferd, das nicht im Hier und Jetzt ist, ist leichte Beute für seine Jäger. Nicht ohne Grund sagen Trainer im Pferdesport häufig, dass man in der Arbeit schneller sein soll, als das Pferd. Ich persönlich würde das "schnell" durch "präsent" oder "achtsam" ersetzen, aber egal wie, häufig "tricksen" uns die Pferde mit ihren Strategien aus. Weil sie einfach da sind im Moment, präsent mit Leib und Seele.
Statt dass du dich nun auf einen Wettstreit mit deinem Pferd einlässt, wer denn wohl der schnellste im ganzen Land ist, kannst du JETZT dein Leben verändern, indem du dein Pferd zu deinem Achtsamkeits-Mentor machst.
Was tun wir nicht alles für unsere Pferde! Wir wir investieren viel Zeit, Geld und Sorgen für die richtige Unterbringung, das richtige Mineralfutter, den richtigen Trainer und so weiter und so fort, so dass manchmal das Pferd selbst und die Beziehung zum Pferd auf der Strecke bleiben.
Ein bisschen weniger Aktionismus, dafür ein bisschen mehr Achtsamkeit am Pferd kann die Beziehung zu deinem Pferd und vielleicht sogar dein Leben grundlegend verändern.
Es ist gar nicht schwer. Wie wäre es, wenn du zum Beispiel 10 Minuten deiner Pferdezeit des Tages damit verbringen würdest, gemeinsam mit deinem Pferd zu atmen? Okay? Bereit?
Am besten beginnst du damit, 5 Minuten am Stück bewusst zu atmen, bevor du dein Pferd vom Auslauf, der Weide oder aus der Box holst. Stelle dich an den Zaun oder die Boxentüre, stelle dir einen Timer auf die gewünschte Zeit und atme bewusst ein und aus, ein und aus, oder den Atem zu verändern. Versuche, deinen Atem dabei zu beobachten, wie er fließt. Wenn du sehr gestresst bist, dann kann es hilfreich sein, den unruhigen Geist dabei zu beschäftigen. Zähle deine Atemzüge. Beginne mit eins für das Einatmen, zwei fürs Ausatmen drei für ein.... bis du bei zehn ankommst, oder den Faden verlierst. Dann beginnst du wieder bei eins.
Im Laufe deines Zusammenseins mit deinem Pferd nimmst du dir zum Beispiel 5 Mal jeweils ca. 1 Minute Zeit, den Atem zu beobachten. Du kannst das in fast jedem Moment tun. Kurz innehalten. Zum Beispiel bevor du den Sattel auflegst, bevor oder nachdem du auf- oder abgestiegen bist und natürlich in jeder Trainingspause oder beim Spazierengehen zwischendrin. Damit du für 1 Minute keinen Timer brauchst, kannst vorher rausfinden, wieviel Atemzüge du bei einer tiefen Atmung in einer Minute machst. Es werden, je nach Anstrengung, ungefähr 5 bis 12 Atemzüge sein, die du einfach bewusst beobachtest, zunächst ohne deinen Atem zu verändern. Sehr hilfreich ist dabei, wie eigentlich immer im Kontakt mit Pferden, sich mit den Füßen auf dem Boden zu erden, um wirklich präsent im Körper zu sein. Probiere, während du deinen Atem beobachtest, auch dein Pferd wahrzunehmen und bringe dich nicht in gefährliche Situationen. Halte zu Beginn mindestens eine Armlänge Abstand zu deinem Pferd und halte es dabei möglichst nicht an den Zügeln fest, sondern an einem locker gehaltenen Führstrick.
Nehme dann Kontakt zu deinem Pferde auf und probiere aus, mit deinem Atem zu spielen. Mache drei super tiefe Atemzüge und seufze einmal richtig tief aus. Beobachte, was mit dem Atem deines Pferdes passiert. Kannst du eine Veränderung wahrnehmen? Du kannst tiefe Atemzüge beim Pferd daran erkennen, dass sich die Nüstern weiten, die Bauchatmung aktiviert wird und vielleicht sogar ein leichtes Seufzen oder Schnauben zu hören ist, der Kopf sich etwas senkt und die Augen etwas weicher werden. Im Laufe der Zeit kannst du weiter mit dem Atem experimentieren und mal sehr tief atmen, mal abschnauben wie ein Pferd oder einfach nur seufzen.
Ganz besonders schön ist das gemeinsame Atmen, wenn dein Pferd frei ist und sich dafür entscheidet währenddessen bei dir zu bleiben. Aber denke dran: Achtsamkeit bedeutet auch, nicht zu werten. Geht dein Pferd also in der Zeit los, um sich etwas anders anzusehen, bringe deine Atemübung trotzdem zu Ende und übe dich im Loslassen vor Erwartungen.
Praktiziere diese Übung über mehrere Wochen, bis sie zu deinem Alltag geworden ist und beobachte hin und wieder, was sich dadurch verändert hat. Ist deine Pferdezeit dadurch bereichert worden? Ist dein Pferd entspannter geworden? Hat sich die Lösungsphase vielleicht verkürzt, weil du vor dem Losreiten auf dem Pferd sitzend mehrere bewusste Atemzüge genommen hast? Hat dein Pferd mehr Vertrauen zu dir entwickelt? Habt ihr Freude daran bekommen gemeinsam "abzuhängen"? Hat sich vielleicht in deinem Leben außerhalb des Pferdestalles etwas verändert? Dies sind nur einig Beispiele, ergänze die Liste nach deinen Erfahrungen. Beantworte die Fragen für dich selbst intuitiv, ohne viel nachzudenken, denn sonst hat dein innerer Kritiker zu viel Zeit sich einzuschalten und dir die Ergebnisse schlecht zu reden.
Durch eine Achtsamkeitspraxis am Pferd kannst du nicht nur deine Präsenz steigern, sondern zum Beispiel lernen
unbewusst ablaufende Denk- und Verhaltensmuster zu erkennen
Körperempfindungen und Gefühle klarer wahrzunehmen
deinen Körper als Sender und Empfänger von Informationen einzusetzen (wie Pferde das tun)
leichter zu entspannen
Ich wünsche dir viel Freude und eine gute Zeit mit deinem Pferd. Lass mich in den Kommentaren gerne wissen, welche Erfahrungen du mit der Atemübung gemacht hast. Ich freue mich auf deine Nachricht.
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*Anmerkung: Es gibt natürlich auch Pferde, die nicht in einem Zustand von Achtsamkeit, also nicht präsent sind. Sie können sogar, genau wie wir Menschen, dissoziieren, also so mit dem Geist abtauchen. Sie schweben dann gewissermaßen "über den Wolken", oder sind völlig in sich selbst abgetaucht. Sie sind dann nicht mehr erreichbar und es hat den Anschein, dass ihr Körper nur noch eine Hülle ist. Dissoziation ist also, salopp ausgedrückt, das Gegenteil von Achtsamkeit.
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